Nassenheide (Rzędziny) (†) (K)

Der Ort Nassenheide (Rzędziny) liegt 12 km nordöstlich von Löcknitz nahe der heutigen deutsch-polnischen Grenze. Das Gemeinwesen wird 1626 in einem Verzeichnis der Kriegsdienstpflichtigen genannt, „wonach Ernst Ramin ,tor Nathenhyde‘ 2 Pferde zu stellen hatte“. Diesem Ernst v. R. „werden in der Hufentabelle von 1631 zu Böcke, Neüenhof und Nassenheide 41½ Landhufen beigelegt“.  Daraus geht hervor, daß der damalige Besitzer von Nassenheide auch über das nachbarliche Böck verfügte. Diese Zusammengehörigkeit hatte – eventuell mit einer Unterbrechung nach dem 30jährigen Krieg – bis in das 20. Jh. hinein Bestand. Zu den weiteren Besitzern von Nassenheide und Böck gehörten: George von Löwenborgk (von 1654 bis 1678, war schwedischer Stadtmajor in Stettin, in seiner Zeit wurde „der Rittersitz bei der Polen Einbruch angezündet und in Asche gelegt“), der Rittmeister Philipp Ernst von Hahn (ab 1678, stand in Diensten des Markgrafen Friedrich Wilhelm von Brandenburg) und die Familie Michaelis (bis 1720).[1]

Nächster Herr auf Nassenheide, Böck, Neuhof, Aalgraben, Habichtshorst und Blankensee, Orte, die im allgemeinen auch als Nassenheider Güter bezeichnet werden, wurde der General und Kommandant der Festung Küstrin, Otto Gustav von Lepel (von 1720 bis 1736).  Zu seinen Besitznachfolgern zählten: Friedrich Wilhelm Graf von Lepel (1716–1783, von 1736 bis 1783, erblindete während seiner Soldatenzeit in Magdeburg, war mit der Tochter des Reichsgrafen Leo Maximilian von Henckel vermählt), Wilhelm Heinrich Graf von L. (1755–1826, von 1786 bis 1822, Sohn des Vorgenannten, war preußischer Gesandter in Stockholm, hatte während seiner Italienbesuche wertvolle Kunstsammlungen erworben, gehörte in seinen letzten Lebensjahren der Herrnhuter Gemeinde an, war der letzte Vertreter seines Geschlechts im Mannesstamm, von ihm stammt das Buch „Übersicht der Gemälde Raphaels. Gedruckt zu Nassenheide in Pommern. 1825“),  die verwitwete Gräfin Ottilie Henckel von Donnersmarck geb. von Lepel (1756–1843, von 1822 bis 1842, war die Schwester des Vorbesitzers und Oberhofmeisterin der Großherzogin Maria Pawlowna in Weimar, lt. Tagebuchaufzeichnung von Johann Wolfgang von Goethe war der Enkel des Dichters, Walter von Goethe, vor oder um 1826 zeitweilig Mitbesitzer von Nassenheide) und deren Schwester Ulrike von Schmeling (1759–1831), der Kgl. Preußische Major Wilhelm von Schmeling (1782–1834, Sohn Ulrikes, fungierte aus lehnsrechtlichen Gründen für seinen Anteil als Pächter, ließ sich in Nassenheide nieder), der minderjährige Walter Ulrich Bogislav Neveling (1832–1900, Sohn des Majors, seine Vormundschaft wurde von seiner Mutter Bertha von Schmeling geb. von Knobloch wahrgenommen, nach 1843 wurde der Gutsanteil fremd verpachtet), der Kgl. Preußische Generalleutnant Wilhelm Ludwig Victor Graf Henckel von Donnersmarck (1775–1849, Sohn der Gräfin Ottilie), Leo Viktor Felix Henckel von Donnersmarck (1785-1861, ebenfalls Sohn der Gräfin Ottilie, beide Brüder besaßen als Intestaterben die Nassenheider Güter zur gesamten Hand, nach 1849 ging der Besitz auf Leo Viktor über), der Rittmeister a. D. Leo Amadeus Maximilian Graf Henckel von Donnersmarck (1829–1900, bis 1872, Sohn von Leo Viktor, erwarb 1858 auch den Schmelingschen Anteil an den Nassenheider Gütern) und der unverheiratete Regierungsreferendar Maximilian Henckel von Donnersmarck (1833–1878, Bruder des Vorgenannten. Noch vor 1872 übernahm der Rittmeister Leo Amadeus auch den Anteil Maximilians).

Nächster Herr auf Nassenheide war Dr. jur. Graf Harry von Arnim (1824–1890, von 1872 bis 1881, Gegner Bismarcks). Der in diplomatischen Diensten stehende Graf wurde 1874 verhaftet und zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Zu den weiteren Inhabern der großen Besitzung gehörten: Graf Henning von Arnim-Schlagenthin (1851–1910, von 1881 bis um 1900, Sohn des Diplomaten, unter seiner Ägide Auflösung des Fideikommisses Nassenheide, Ehegattin Elizabeth geb. Beauchamp, * 1866 Australien † 1941 USA, verdiente sich ihre Lorbeeren als Schriftstellerin, machte Nassenheide und seinen Park durch ihr Buch „Elizabeth and her german garden“ vor allem in England bekannt, ihr Bronzedenkmal schmückt heute des Zentrum vom Nachbarortes Böck),  Léon Salomons (wird 1911 erwähnt, Verwalter war der Oberinspektor Horn), die Familie Stock (bis 1937, davor Aufsiedlung des Gutes) und Ulrich von Köller (ab 1937, gebot über den 117 ha großen Resthof).[2] Im Jahre 1911 verfügte das Rittergut Nassenheide mit den Pertinenzen Böck, Laak, Schlangenhorst, Aalgraben, Musort, Sonnenwald und Forst Blankensee (insgesamt 3802 ha) über folgende Nutzflächen: 2346 ha Acker und Gärten, 970 ha Wiesen, 45 ha Weiden und 340 ha Holzungen. Zudem hatte der landwirtschaftliche Großbetrieb nachstehenden Viehbesatz eingestallt: 220 Pferde, 1700 Stück Rindvieh und 1500 Schweine.[3]

Das zum Teil schon vor 1945 abgängige Herrenhaus (1944 bei einem englischen Bombenangriff auf Stettin getroffen) war von L-förmiger Gestalt. Es bestand aus dem Zentralbau (würfelförmiger Grundriß von ca. 12 x 12 m und 2 x 2 Achsen, zweigeschossig, drei Staffelgiebel, L-förmiges Satteldach, dieses mit Streichrichtung Nord–Süd und Ost–West, im Gebäude Vorhalle mit Tonnengewölbe und Stichkappen, Gewölbe etwa aus dem Ende des 16. Jh., zu beiden Seiten der Tür stand geschrieben „vormals Adlich Kirchlein Anno dnie 1861“ und „Leo und Emma Henckel von Donnersmarck Renov.“),  dem Nordflügel (zehn Achsen, etwa 38 x 12 m, zweigeschossig, Satteldach, an nördlicher Schmalseite Staffelgiebel) und dem Ostflügel (etwa 43 x 12 m, eingeschossig, Satteldach, eventuell an östlicher Schmalseite auch Staffelgiebel). Das oben erwähnte Kirchlein hatte 1644, „da es bis zu den Umfassungsmauern von dem Feinde zerstört“ worden war, von seiner Ausstattung nur noch zwei „adlich Kirchstühle“ übrigbehalten. Insofern kommt Helmut Sieber zu dem Schluß, daß es sich bei dem für den Herrenhausbau verwendeten Kirchenteil um die eingewölbte, nicht zerstört gewesene Sakristei handelte.[4] Nach allem Dafürhalten wurde der Zentralbau mit der integrierten Sakristei von Otto Gustav von Lepel im ersten Drittel des 18. Jh. ins rechte Lot gebracht. Nächster Bauherr war Wilhelm Heinrich Carl Graf von Lepel, der für die Unterbringung seiner Kunstsammlungen nach 1800 drei Anbauten – wohl in Gestalt von Verlängerungs- bzw. Erweiterungsbauten am Ostflügel – aufführen ließ. Der nach 1822 kaum noch genutzte Herrensitz wurde 1858 von Graf Leo Henckel von Donnersmarck wieder bewohnbar gemacht.[5] Ob der Graf im Zuge der Hauserneuerung auch den zweigeschossigen Nordflügel errichten ließ, kann hier allerdings nur vermutet werden. Heute (2014) bedeckt eine mit Gesträuch bewachsene Schutthalde den Standort des untergegangenen Herrensitzes, in dem einst so interessante Persönlichkeiten wie der Gesandte und Kunstkenner Wilhelm Graf von Lepel und die Schriftstellerin und Gartenspezialistin Elizabeth von Arnim ein- und ausgingen.

Der von Süd nach Nord streichende Park (ca. 15 ha) wurde nach 1872 von der hier schon mehrfach erwähnten Elizabeth von Arnim angelegt.[6] In der gegenwärtig leidlich gepflegten Anlage gehört die gewöhnliche Robinie zu den am häufigsten vorkommenden Gehölzarten.

Von den Gebäuden auf dem alten Wirtschaftshof fällt vor allem das einstige Gutsverwalterhaus (11 x 3 Achsen, zweieinhalbgeschossig, unterkellert, Sockelmauerwerk aus gespaltenen Findlingen, flaches Satteldach) ins Auge, das seines stattlichen Äußeren wegen den Eindruck macht, als wäre es das Nassenheider Herrenhaus. In dem noch gut erhaltenen Gebäude sind heute ein Kindergarten, eine lokale Institution und mehrere Einliegerwohnungen untergebracht. Der nur wenige Schrittlängen weiter östlich stehende Viehstall (elf Achsen, zweigeschossig, Mauerwerk aus gespaltenen Findlingen, Satteldach mit PGR-zeitlicher Wellasbesteindeckung) ist ohne Funktion. Sein ansonsten noch gut erhaltenes Gemäuer weist an der Hof- bzw. Südseite eine über 3 m breite Bruchstelle auf. Etwa 200 m südwestlich des Stalls steht das ruinöse Brennereigebäude (zwei- und dreigeschossig, Ostteil und Schlot abgängig), dessen nordseitige Rundbogenfenster an klassizistische Vorbilder erinnern.

In Nassenheide gibt es neben einem Gehöft ein kleines Freilichtmuseum. Auf seinem Areal kann man typische Grenzsicherungseinrichtungen wie schießschartenbewehrte Betonpilze, Stacheldrahtsperren und Warnschilder in Augenschein nehmen.

Mit dem Schweriner Abkommen vom 21. September 1945 zwischen der sowjetischen Militäradministration in Mecklenburg-Vorpommern und polnischen Regierungsvertretern fiel Nassenheide an Polen. Soweit die Einwohner des Dorfes nicht schon im März/April 1945 vor der herannahenden Front geflohen waren, wurden sie nun gezwungen, sich westlich der neu entstandenen Demarkationlinie ein neues Zuhause zu suchen.

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[1] Berghaus, Heinrich: Landbuch des Herzogthums Pommern, II. Th., Bd. II, enthaltend: den Randowschen Kreis und Allgemeines über die Kreise auf dem linken Oder-Ufer, Anklam und Berlin 1865, S. 1648f.

[2] Neuschäffer, Hubertus: Schlösser und Herrenhäuser in Hinterpommern, Leer 1994, S. 167f. sowie Lepel, Oskar Matthias Freiherr von: Nassenheide in Pommern, Geschichte eines Rittergutes, Metternich 2014, S. 51ff. https://de.wikipedia.org/wiki/Elizabeth von Arnim, eingesehen am 12. August 2020.

[3] Niekammer’s Landwirtschaftliches Güter-Adreßbücher, Bd. 3, Reihe 1: Pommern, Leipzig 1911

[4] Sieber, Helmut: Schlösser und Herrensitze in Pommern, 3. Aufl., Frankfurt am Main 1978, S. 82 und Abb. S. 204; Neuschäffer, Hubertus: Schlösser und Herrenhäuser in Hinterpommern, Leer 1994, S. 136

[5] Berghaus, Heinrich: Landbuch des Herzogthums Pommern, II. Th., Bd. II, enthaltend: den Randowschen Kreis und Allgemeines über die Kreise auf dem linken Oder-Ufer, Anklam und Berlin 1865, S. 1645

[6] Sieber, Helmut: Schlösser und Herrensitze in Pommern, 3. Aufl., Frankfurt am Main 1978, S. 82

 

 

Abkürzungen:
(†) Untergegangenes Haus
(K) Kurzbeschreibung
PGR – Państwowe Gospodarstwo Rolne (Staatlicher Landwirtschaftsbetrieb)

  1. Nassenheide (Rzédziny), Herrenhaus von Südwesten, aus: Schlösser und Herrensitze in Pommern von H. Sieber, Frankfurt am Main, 1978, S. 204
  2. Nassenheide (Rzédziny), restliche Steine des abgängigen Herrenhauses; Foto: D. Schnell, April 2014
  3. Nassenheide (Rzédziny), ehemaliges Gutsverwalterhaus, Hof- bzw. Südseite; Foto: D. Schnell, April 2014
  4. Nassenheide (Rzédziny), Viehstall, Hof- bzw. Südseite; Foto: D. Schnell, April 2014
  5. Nassenheide (Rzédziny), ruinöses Brennereigebäude, Nordseite; Foto: D. Schnell, April 2014