Groß Tychow (Tychowo) (†) (K)

Der zum Kreis Belgard gehörende Ort Groß Tychow (Tychowo) nimmt mit seiner Gemarkung den südöstlichsten Landzipfel des Kreises ein. Schon im Jahre 1250 wird das Dorf gemeinsam mit Dubberow als Kleist’scher Besitz namhaft gemacht.[1] Zur Zeit der Pommernherzöge bestand das dortige Lehen aus drei Anteilen, von denen zwei den Herren von Kleist und einer den Herren von Versen gehörten. Im Jahre 1773 starb der Tychower Zweig der Familie von Kleist aus, sodass deren Besitz an den Namensvetter Peter Christian aus der Vietzower Linie überging. Nur wenige Jahre danach gelangten alle drei Anteile an die Witwe Marie Charlotte von Kleist geb. Retzow.[2] Zu ihren Besitznachfolgern gehörten: der Landrat Hans Jürgen von Kleist-Retzow (von 1781 bis wenigstens 1826), der Landrat und Oberpräsident der preußischen Rheinlande, Hans von Kleist-Retzow (wird Mitte des 19. Jahrhunderts genannt, Onkel Bismarks, war als Abgeordneter ein enger Mitstreiter des nachmaligen Altkanzlers im Parlament),[3] Karl Ferdinand von Kleist-Retzow (1795–1872), Hugo von Kleist-Retzow (wird kurz nach 1900 erwähnt, unter ihm wurden Groß Tychow und die Pertinenz Alt-Buckow zu einem Fideikommiss vereint), Wolfgang Graf von Kleist-Retzow (wird kurz nach 1900 namhaft gemacht, Sohn des Vorgenannten, wurde in den preußischen Grafenstand erhoben) und der Landrat Dr. jur. Wolf Friedrich Graf von Kleist-Retzow (wenigstens von 1911 bis 1945).[4] Wolf Friedrich nahm im Februar 1945 an den schweren Abwehrkämpfen im mittleren Hinterpommern teil. Da er von seinem dortigen Fronteinsatz nicht mehr zurückkehrte, gilt der letzte deutsche Besitzer von Groß Tychow-Gut als verschollen.

Das hier vorgestellte Gemeinwesen machte und macht vor allem durch seinen riesigen Findling (ca. 700 Kubikmeter, auf dem dortigen Friedhof gelegen) von sich reden. Weniger bekannt ist dagegen die einstige Herrenhausanlage des Ortes, die 1775 von Peter Christian von Kleist in U-förmiger Gestalt auf einer rechteckigen Insel (ca. 48 × 38 Meter, ehemals Standort einer Burg, Eiland noch zum Teil erhalten) errichtet worden war. Der Gebäudekomplex bestand aus dem Hauptgebäude (Streichrichtung Südost–Nordwest, 13 Achsen, anderthalbgeschossig, unterkellert, Walmdach, an Hof beziehungsweise Südwestseite dreiecksübergiebelter Mittelrisalit von drei Achsen, Obergeschoss desselben als Loggia ausgebildet, an den Schmalseiten kleine Anbauten, diese gartenseitig um ca. drei Meter vorspringend) und zwei Flügeln (pro Exemplar: 4 × 3 Achsen, Geschossanzahl und Dach wie Hauptgebäude; unter Südostflügel Kellergewölbe des spätmittelalterlichen Vorgängergebäudes), die einen nach Südwesten hin offenen Ehrenhof umschlossen.[5]

Über das Schicksal des Hauses nach 1945 berichtet Helmut Sieber Folgendes: „So war z.B. aus dem großen Saal das wertvolle Barockmobiliar in den Graben geworfen worden und dieser Raum als Kuhstall benutzt worden. Die geräumige Diele des Hauses diente als Pferdestall. Auch sonst war die Zerstörung im Innern vollständig, die Treppen waren herausgerissen, und was nicht wegzuschleppen ging, war zerschlagen worden.“[6]

Trotz dieser Verwüstungen diente das sogenannte Schloss noch in den 1950er-Jahren als Gemeinschaftshaus. Später wurde es, da desolat und einsturzgefährdet, vollständig abgebrochen, sodass sich von der großen Anlage keine Restbestände mehr erhalten haben.[7]

Der hinter dem nordöstlichen Ringgraben beginnende Park (ca. 12 Hektar) ist verbuscht und verwildert. Beachtenswert sind seine rot schimmernden Pfeifenstrauchbestände an der sich anschließenden Wiesengrenze.

Von den auf uns überkommenen Ökonomiegebäuden ist nur noch ein Teil in Nutzung. Zu den nennenswerten Baulichkeiten zählt übrigens ein alter Wasserturm, dessen Efeukleid vor allem in der Nachsommerzeit recht farbenprächtig zur Geltung kommt.

„Im Winter 1944/45 zogen Flüchtlingstrecks aus Ostpreußen und zurückweichende Truppenverbände durch den Ort. Für Groß Tychow kam der Treckbefehl beziehungsweise der Aufbruch der Einzelgruppen Anfang März 1945 zu spät. In Standemin und Treptow wurden die Trecks von der Front überrollt und zur Umkehr gezwungen. 1946 lebte kaum noch ein Deutscher im Ort.“[8]

Auch der folgende Bericht gibt uns über die dortigen Geschehnisse im Jahre 1945 Auskunft, und zwar wie nachstehend aufgeführt: „,Am 3. März 1945 waren die Russen da und wir mussten fort […] Es ging bei minus 15 Grad zunächst bis zum Gut Podewils […] Wir wollten an sich in die Nähe von Kolberg kommen, um von dort aus vielleicht übers Meer in den Westen zu gelangen. Aber dann kamen die Russen und nahmen uns alles weg, die Pferde, die Treckwagen und all unser Gepäck. Zu Fuß ging es mühsam weiter […] Von Dumadel wurden wir weiter getrieben und gelangten in die Hände von Mongolen […] Wie es uns erging, hing immer vom jeweiligen Kommandanten ab. Schlimm wurde es, als dann die Polen kamen, die uns schikanierten, wo sie konnten […] In tiefer Nacht sind wir dann entwischt und erreichten Groß Tychow. Im November 1945 erfolgte die Ausweisung.“[9]
1936 zählte die Gemeinde Groß Tychow 2019 Einwohner deutscher Zunge. Nach deren Vertreibung übernahmen die Polen den Ort, der mit Wirkung vom 1. Januar 2010 unter dem Namen Tychowo zur Stadt erhoben wurde, in der heute (2011) etwa 2500 polnische Bewohner beheimatet sind.[10]

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[1] Sieber, Helmut: Schlösser und Herrensitze in Pommern, 3. Aufl., Frankfurt am Main 1978, S. 112

[2] o. A.: Der Kreis Belgard. Aus der Geschichte eines pommerschen Heimatkreises, hrsg. v. Heimatkreisausschuß Belgard-Schivelbein, Celle 1989, S. 393

[3] Neuschäffer, Hubertus: Schlösser und Herrenhäuser in Hinterpommern, Leer 1994, S. 105

[4] Niekammer’s Landwirtschaftliches Güter-Adreßbuch, Bd. 3, Reihe 1: Pommern, Leipzig 1911, und Niekammer’s Landwirtschaftliches Güter-Adreßbuch, Bd. 9, Reihe 1: Pommern, Leipzig 1939

[5] Sieber, Helmut: Schlösser und Herrensitze in Pommern, 3. Aufl., Frankfurt am Main 1978, S. 227 (Abb.); siehe auch Rühlow, Gerhard: Das Gut Groß Tychow, aus: Dai Schuldeknüppel, in: Die Pommersche Zeitung, Folge 21/13, 25. Mai 2013, S. 7

[6] Sieber, Helmut: Schlösser und Herrensitze in Pommern, 3. Aufl., Frankfurt am Main 1978, S. 114f., 227

[7] Neuschäffer, Hubertus: Schlösser und Herrenhäuser in Hinterpommern, Leer 1994, S. 105

[8] Rühlow, Gerhard: Vom Großen Stein und Krausen Baum, aus: Der Kreis Belgard, 1989, in: Die Pommersche Zeitung, Folge 2/10, 16. Januar 2010, S. 7

[9] Rühlow, Gerhard: Das Gut Groß Tychow, aus: Dai Schuldeknüppel, in: Die Pommersche Zeitung, Folge 21/13, 25. Mai 2013, S. 7

[10] Rühlow, Gerhard: Vom Großen Stein und Krausen Baum, aus: Der Kreis Belgard, 1989, in: Die Pommersche Zeitung, Folge 2/10, 16. Januar 2010, S. 7

 

Abkürzungen:
(†) Untergegangenes Haus
(K) Kurzbeschreibung

  1. Groß Tychow (Tychowo), Verwalterhaus, Nordwestseite, April 2007; Foto: D. Schnell
  2. Groß Tychow (Tychowo), Herrenhaus von Osten, Stahlstich aus: Sieber, Helmut: Schlösser und Herrensitze in Pommern, 3. Aufl., Frankfurt am Main 1978, S. 227
  3. Groß Tychow (Tychowo), Ökonomiegebäude auf dem ehemaligen Gutshof, Südwestseite, März 2012; Foto: D. Schnell
  4. Groß Tychow (Tychowo), Wasserturm auf dem ehemaligen Gutshof von Südosten, März 2012; Foto: D. Schnell