Bartin (Barcino)
Es existieren in Pommern zwei Ortschaften mit dem Namen Bartin. Die eine von ihnen liegt im Kreis Kolberg-Körlin und die andere finden wir an der nördlichen Peripherie des Kreises Rummelsburg. Der Ort in den Weiten Hinterpommerns, also das östlicher gelegene Bartin (Barcino), besitzt ein recht bedeutsames Herrenhaus.
Die ersten namentlich bekannten Lehnsherren des Gemeinwesens waren laut Urkunde von 1478 Henning Massow, sein Bruder Mickes sowie seine Vettern Ewald, Thomas und Klaus. Ein etwas später ausgestellter Lehnsbrief weist allerdings nur noch die drei oben genannten Vettern als Anteilsbesitzer von Bartin aus.
Schon in vorreformatorischer Zeit war der Ort - übrigens der Hauptsitz derer von Massow - ein bedeutendes Kirchdorf, zu dessen Sprengel die Nachbargemeinden Barvin, Brünnow, Woblense, Wusseken und Seelitz gehörten. Beredtes Zeugnis dafür ist das dortige Gotteshaus, da es mit seinem backsteinsichtigen Gemäuer unter den vielen Fachwerkkirchen des Kreises eine Sonderstellung einnimmt. Bartin war zudem Gerichtsstand für das den Massows gehörende „Stedeken" Rummelsburg. Daher nimmt es nicht wunder, dass der Ort im 16. Jahrhundert über Folterkammer und Folterwerkzeuge verfügte, um für die damals üblichen Gerichtspraktiken auch ausreichend gewappnet zu sein. In Bartin gab es zu der Zeit 14 Bauern und neun Kossäten und an der nahen Bisteritz klapperte eine Wassermühle.
Seit 1628 besaßen Karsten Puttkamer zu Vietzke und Klaus Brünnow zu Quatzow ebenfalls einige Anteile an der dortigen Feldmark, die sie jedoch später, wahrscheinlich in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges, an die Herren von Massow verloren. Nach den verheerenden Kriegen im 17. Jahrhundert hatte sich die Einwohnerzahl der Gemeinde, wie übrigens überall in deutschen Landen, bedeutend verringert. Von den einst 14 Bauern waren lediglich noch sechs übriggeblieben und von den Kossäten hatte nur einer die Kriegswirren überlebt.
Nach dem frühen Tode des Bartiner Anteilsinhabers Ewald von Massow (um 1670) übernahmen die Vormünder seines minderjährigen Sohnes Rüdiger das Erbe. Außerdem war mit Joachim Ernst von Massow noch ein weiterer Vertreter des hier in Rede stehenden Geschlechts im Ort präsent. 1678 verkauften Rüdigers Vormünder den Anteil ihres Mündels für 9000 Gulden an den preußischen Feldmarschall Joachim Rüdiger von der Goltz, der im Laufe der folgenden Jahre auch die noch in fremder Hand liegenden Resthufen erwerben konnte. Erbnachfolger wurden sein Sohn Baltzer Wilhelm von der Goltz (1699) und Ewald von Massow (1717). Danach gelangte der Ort in die Hand von Joachim Ewald von Massow (Schwiegersohn des Vorgenannten, geb. 1697 in Varzin, gest. 1769 in Bartin). Dieser bekleidete in Preußen unter Friedrich II. das hohe Amt eines geheimen Staats-, Kriegs- und Finanzministers. Der nächstfolgende Herr auf Bartin hieß, wie übrigens schon die meisten seiner Vorgänger, ebenfalls Ewald. Mit ihm wurde die lange Reihe der von Massowschen Inhaber des Ortes fortgesetzt. Während seiner,,Amtszeit" zählte man im Gemeinwesen zehn Bauern, zwei Kossäten, einen Prediger, einen Küster, eine Schmiede, eine Schäferei, eine Wassermühle und einen Dorfkrug. Ewald von Massow übertrug das ihm zugefallene Erbe im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts seinem Bruder Karl, von dem Bartin mit den Pertinenzien 1793 in den Besitz von Franz Gottlieb von Massow übergingen. Der Letztgenannte verkaufte Bartin, Barwin und Brünnow jedoch noch im selben Jahr für 69500 Rtlr. an den Kriegsminister Karl Georg Heinrich Graf von Hoym. Von diesem fiel der Besitz 1801 an den Landesdirektor Karl von Massow. Nachdem der Landesdirektor 1807 verstorben war und auch sein noch minderjähriger Sohn bereits ein Jahr später verschied, gelangten die oben genannte Orte in die Hand von Karl Friedrich von Massow. Zu dessen Bartiner Besitznachfolgern gehörten: Adolf von Puttkamer (von 1830 bis 1853), Theodor Leberecht von Puttkamer (von 1853 bis 1876), Adolf Franz von Puttkamer (von 1876 bis 1893), der Rittergutsbesitzer Karl Wilhelm Becker (von 1893 bis 1930) und dessen Sohn Hans Becker (von 1930 bis 1945). Der Gutsbezirk umfaßte in den 1930er-Jahren neben Bartin auch die Vorwerke Rosenhof und Augustthal. Seine Flächengröße betrug insgesamt etwa 1400 Hektar. Zu bemerken wäre freilich noch, dass das Vorwerk Kotlow bereits 1921 an Margarete von Mielecki geb. Becker und ihren Ehemann Bodo übergegangen war.[1]
Das Bartiner Herrenhaus gehört zu den größeren ländlichen Barockbauten Hinterpommerns. Sein Bauherr war nach allem Dafürhalten der preußische Minister Joachim Ewald von Massow. Das genaue Datum der Bauausführung ist allerdings unbekannt, doch ist anhand eines hauseigenen Kachelofens aus dem Jahre 1740 davon auszugehen, dass das respektable Gebäude einige Jahre zuvor errichtet worden war. Unbekannt ist übrigens auch sein Baumeister beziehungsweise Architekt. Möglicherweise handelte es sich bei ihm um einen Herrn aus Stolp, da einige Patritzierhäuser in Hinterpommerns Klein-Paris ähnliche Architekturformen aufwiesen.[2]
In dem Artikel „Gutshäuser" von Walter Borchers lesen wir über das sogenannte „Schloss″ folgendes: „Besonders eindrucksvoll ist das Gutshaus von Bartin, das schon seinem baulichen Umfang nach alle anderen Gutshäuser des Kreises übertrifft. Es ist ein zweistöckiges, langgestrecktes, rechteckiges Gebäude (ca. 35 × 15,5 Meter, der Verf.), mit betontem Mittelteil auf der Hofseite – ein Giebeldreieck unterbricht die Dachlinie in gleicher Weise wie bei dem Universitätsgebäude in Greifswald – und gewalmtem Dach. Eine geschwungene Treppe mit ehemals hölzerner, jetzt steinerner Ballustrade führt in das Innere des Hauses. Die Fassade ist sehr schlicht gestaltet. Fensterumrahmungen, Füllungen, gemalte Pilaster mit zum Teil plastischen Kapitellen sind der Schmuck des Hauses.“[3]
Außer den von Walter B. vorgestellten Architekturelementen besitzt das heute (2010) altersgraue Gebäude zwei hofseitige Blindfenster, einen treppenhausartigen Anbau (an der nördlichen Schmalseite gelegen), eine aufgeständerte Terrasse mit Freitreppe (an der Park- beziehungsweise Westseite befindlich) und einen mittelalterlich anmutenden Gewölbekeller. Leider konnte der Verfasser im Inneren des Hauses nur die Vorhalle mit ihrer zweiläufigen Treppenanlage aus dem 18. Jahrhundert in Augenschein nehmen, da fast alle übrigen Räume bewohnt sind.
Nach der Einnahme des Ortes durch die Rote Armee am 7. März 1945 diente das Herrenhaus anfangs als sowjetische Kommandantur, um später von polnischen Neusiedlerfamilien in Besitz genommen zu werden.[4] Unter der sozialistischen Flagge Polens wurde der marode gewordene Dachpfannenbelag des denkmalgeschützten Hauses durch eine neue Kupferplatteneindeckung ersetzt, sodass der Fortbestand des ehemaligen Adelssitzes vorerst auf relativ sicheren Füßen steht.
In der hausnahen Gartenanlage, ein zum Teil als Spiel- und Trockenplatz genutztes Areal, stand einst ein „reizendes offenes Holztempelchen“.[5] Leider hat sich die kleine Andachtsstätte schon vor Jahrzehnten von ihrem lauschigen Gartenstandort verabschiedet.
Als die Rote Armee Anfang März 1945 auf den Ort zumarschierte, ergriffen die Einwohner am sechsten Tag des Monats die Flucht. Die Fliehenden wurden auf ihrem Treck zur Küste aber von der Front eingeholt und überrollt, womit ihre Rückkehr nach Bartin besiegelt war. Nachdem polnische Familien später alle Häuser und Höfe in Besitz genommen hatten, mussten die Bartiner ihren Heimatort in Richtung Mittel- und Westdeutschland verlassen.
Zu den Bartiner Kriegsopfern gehörten 42 Gefallene und 34 Ziviltote. Von Letzteren fanden neun Personen ein gewaltsames Ende und acht wählten den Freitod.[6] Außerdem fielen im Ort einige deutsche Soldaten während der dort ausgetragenen Kämpfe. Über ihr Schicksal berichtet Heinz Schwuchow unter anderem Folgendes: „In dem Haus von Fleischer Galler lagen mehrere deutsche Soldaten der SS und Infanterie. Kurz entschlossen suchten wir einen geeigneten Platz für ein solches Soldatengrab. Die Entscheidung fiel auf den in der Nähe liegenden Turnplatz an unserer Schule. Schnell gruben wir ein größeres Loch und holten die toten Soldaten mit der Schubkarre aus der Wohnung und begruben sie hier.“[7]
Im Hinblick auf den oben genannten Bericht sei darauf verwiesen, dass die sterblichen Überreste der in Bartin bestatteten Soldaten (neun an der Zahl) auf Initiative von Heinz Schwuchow nach 57 Jahren durch die deutsche Kriegsgräberfürsorge exhumiert wurden und auf dem neu angelegten Soldatenfriedhof bei Glien (südlich der Buchheide im Kreis Greifenhagen gelegen) eine würdige Ruhestätte erhielten.[8]
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[1] Gohrbandt, Emil: Ortsgeschichte, in: Der Kreis Rummelsburg. Ein Heimatbuch, hrsg. v. Kreisausschuß d. Kreises Rummelsburg im Jahre 1938, neu hrsg. v. Heimatkreisausschuß Rummelsburg mit Förderung durch den Landkreis Soltau-Fallingbostel, Hamburg 1979, S. 136f. sowie Neuschäffer, Hubertus: Schlösser und Herrenhäuser in Hinterpommern, Leer 1994, S. 47
[2] Borchers, Walter: Gutshäuser, in: Der Kreis Rummelsburg. Ein Heimatbuch, hrsg. v. Kreisausschuß d. Kreises Rummelsburg im Jahre 1938, neu hrsg. v. Heimatkreisausschuß Rummelsburg, Hamburg und Lübeck 1979, S. 511f. u. Abb. 101
[3] Ebd., S. 511
[4] Kuchenbäcker, Hans-Ulrich (Bearb.): Der Kreis Rummelsburg. Ein Schicksalsbuch, hrsg. v. Heimatkreisausschuß Rummelsburg, Lübeck 1985, S. 137
[5] Borchers, Walter: Gutshäuser, in: Der Kreis Rummelsburg. Ein Heimatbuch, hrsg. v. Kreisausschuß d. Kreises Rummelsburg im Jahre 1938, neu hrsg. v. Heimatkreisausschuß Rummelsburg, Hamburg und Lübeck 1979, S. 513
[6] Kuchenbäcker, Hans-Ulrich (Bearb.): Der Kreis Rummelsburg. Ein Schicksalsbuch, hrsg. v. Heimatkreisausschuß Rummelsburg, Lübeck 1985, S. 136f.
[7] Schwuchow, Heinz: Die Erinnerung wird ausgegraben, in: Pommersche Zeitung, Folge 1/03, 4. Januar 2003, S. 8
[8] Ebd., S. 8
1. Bartin (Barcino), Herrenhaus, Hof- bzw. Ostseite; Foto: D. Schnell, April 1998
2. Bartin (Barcino), Herrenhaus, Vestibül mit Treppenaufgang; Foto: D. Schnell, April 1998
3. Bartin (Barcino), Herrenhaus, Gewölbekeller im südlichen Hausbereich; Foto: D. Schnell, April 1998
4. Bartin (Barcino), Herrenhaus von Westen; Foto: D. Schnell, März 2019